Matthias Berg Dokumentarfotografie

Rückblick: Begegnungen im ehemaligen KZ Ravensbrück

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Artikel mit Fotoreportage, erstmals veröffentlicht am 25.04.2010_Y2B3703Am 17./18. April 2010 gab es eine der letzten Möglichkeiten, noch einmal mit zahlreichen Überlebenden der faschistischen Konzentrationslager zusammenzutreffen. Anlass dafür waren die Gedenkveranstaltungen zum 65. Jahrestag der Befreiung der KZ´s Sachsenhausen und Ravensbrück. Die meisten der ehemaligen Häftlinge sind inzwischen auf Grund ihres hohen Alters verstorben.

Im brandenburgischen Ravensbrück befand sich das größte Frauen-KZ der Faschisten. Hier wurden 150.000 Menschen aus 40 Nationen eingesperrt, die meisten von ihnen Frauen, aber auch 20.000 Männer und 800 Kinder.
Die Insassen in Ravensbrück litten unermesslich. Sie lebten unter unmenschlichen Bedingungen, 28.000 Häftlinge wurden erschossen, erwürgt, vergast, lebendig begraben oder arbeiteten sich zu Tode. Einige starben in so genannten medizinischen Experimenten. Alle Insassen, einschließlich der kleinen Kinder, mussten schwere Arbeit verrichten, die allgemein zum Tod führte. Die Frauen wurden gezwungen, zum Beispiel für Siemens Teile für die V-2-Raketen zu bauen. Im April 1945 wurden die Häftlinge von der Roten Armee befreit.

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Rund 100 Überlebende aus verschiedenen Ländern, begleitet von Angehörigen, machten sich in diesem Jahr auf den beschwerlichen Weg nach Ravensbrück. Beschwerlich war der Weg nicht nur allein auf Grund der schmerzlichen Erinnerungen, die mit diesem Ort verbunden sind. Wegen der Sperrung des Flugverkehrs (nach dem isländischen Vulkanausbruch) mussten viele der ehemaligen Häftlinge, mehrheitlich über 85 Jahre alt, strapazenvolle Anreisen überstehen. Zahlreiche Überlebende konnten überhaupt nicht nach Deutschland kommen, so z.B. aus Israel.

Das Gedenken wurde von der Stiftung Brandenburger Gedenkstätten in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Ravensbrück Komitee organisiert. Ein Veranstaltungshöhepunkt war für mich der „Abend der Begegnung“.

Begegung mit Marta Vulic und Marija „Rapa“ Šuklje († 2013)

An diesem Abend traf ich außerhalb des Veranstaltungszeltes auf die slowenischen Frauen Marta Vulic (86) und Marija „Rapa“ Šuklje (87). Sie gehörten zu den 80.000 Slowenen, die damals zur Zwangsarbeit ins faschistische Deutschland verschleppt wurden.

Um an der diesjährigen Gedenkveranstaltung teilzunehmen, hatten auch Rapa und Marta eine anstrengende zweitägige Anreise auf sich genommen. Ich war erstaunt zu erleben, welche geistige Lebendigkeit, Herzlichkeit und welcher Humor von diesen beiden Frauen ausging.

Sie erzählten mir ausführlich von der Zeit der faschistischen Besatzung Sloweniens. Jugoslawien wurde im April 1941 von der Wehrmacht überfallen. Nur wenige Tage später bildete sich auf Initiative der Kommunisten die „Befreiungsfront“ (Osvobodilna Fronta).

Widerstand in der „Befreiungsfront“

Rapa und Marta waren zu dieser Zeit als Teenager Mitglieder im Kommunistischen Jugendverband. Trotz des faschistischen Terrors und den damit verbundenen Gefahren war es für die Frauen keine Frage, die „Befreiungsfront“ praktisch zu unterstützen. So schmuggelte Marta für die Partisanen Waffen und Medikamente. Wichtige Regel im Widerstand war, dass niemand außerhalb der Widerstandszelle von der Mitgliedschaft in der „Befreiungsfront“ wissen durfte. Auch Eltern und engste Freunde nicht. Rapa, die aus einem bürgerlichen Elternhaus stammt, berichtete, dass sie auf einem Zellentreffen erstaunt auf eine Angestellte ihres Vaters traf, die wieder rum von ihrer Mutter für die „Befreiungsfront“ angeworben wurde.
Trotz den schweren Bedingungen der illegalen Arbeit waren die beiden Frauen, wie sie mit einem Lächeln erzählten, nicht „abstinent“ – sie meinten damit, dass sie in dieser Zeit auch engere Kontakte mit Männern hatten. Nachts, unter den Bedingungen der Ausgangssperre, trafen sie sich heimlich in Wohnungen, um dort zu tanzen. „Da war nicht wichtig, ob einer Bürgerlicher oder Kommunist war, wichtig war für uns, dass die Männer gut tanzen konnten“.

Als Sklavenarbeiterinnen im KZ

Rapa und Marta wurden 1944 auf Grund von erzwungenen Geständnissen festgenommen. Sie sprechen in diesem Zusammenhang nicht von Verrätern, sondern auf Grund der brutalen Foltermethoden „von denen, die Namen genannt haben“. Auch Marta wurde Opfer von brutalen Verhören.
Beide Frauen wurden nach Deutschland verschleppt. Im KZ Ravensbrück erlebten sie, wie sie von den Totenkopfeinheiten der SS erniedrigt und zu Nummern gemacht wurden. Nach nur kurzer Zeit erfolgte ihre Verlegung in zwei, der siebzig Außenlager des KZ´s.

Marta, damals 19 Jahre alt, kam ins Außenlager Barth und musste dort von früh bis spät in der Lagerküche arbeiten. Ihre Mithäftlinge arbeiteten in 12-Stunden-Schichten in der Flugzeugproduktion.

Rapa wurde ins Außenlager Neustadt-Glewe gebracht. Das Lager wurde angelegt, um für die Norddeutschen Dornier-Werke rund um die Uhr ausbeutbare Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Hier wurden Teile für Jagdflugzeuge gefertigt und montiert.

Marta erlebte ihre Freiheit am Ende eines Todesmarsches, als die Häftlinge von der SS Richtung Westen getrieben wurden. Frauen, die nicht mehr weitergehen konnten, wurden von der SS erschossen. „Wir kamen an einen kleinen Wald, und dahinter lag das Meer. Wir hatten solche Angst, dass man uns auf die Schiffe bringt und versenkt. Doch plötzlich waren die Bewacher weg, wir waren alleine. In kleinen Gruppen schlichen wir vorsichtig weiter bis in die nächste Stadt. Ich ging dann keinen Schritt mehr. Ich legte mich auf den Bordstein und schlief. Als ich wieder wach wurde, sah ich wenige Leute, aber weiße Fahnen“.

Rapa wurde im Lager Neustadt-Glewe von den Soldaten der Roten Armee befreit.

Wichtige Arbeit für die Zukunft

Nach Kriegsende kamen beide Frauen mehrmals zu Gedenkfeierlichkeiten nach Deutschland.
In Jugoslawien organisierte bis 1990 der Staat die Teilnahme an den Veranstaltungen in Ravensbrück und unterstützte die Häftlingsorganisation. Seitdem ist es zur Privatangelegenheit geworden. Dennoch treffen sich die überlebenden Ravensbrück-Häftlinge in Slowenien einmal jährlich und beteiligen sich an der Arbeit des Internationalen Ravensbrück-Komitees. Hier arbeiten mittlerweile auch jüngere Angehörige und Freunde mit.

Anette Chalut vom Internationalen Ravensbrück-Komitee sagte am Sonntag beim offiziellen Gedenkakt: „Es war die Hoffnung der Freiheit, die uns trotz der Schrecken haben leben und überleben lassen und die uns heute noch Dynamik verleiht“.

Und wie wichtig ihre Arbeit für die nachkommenden Generationen ist, wird deutlich an der Frage von Rapas Urenkel:
„Omi, konntet ihr denn damals nicht nach Hause telefonieren?“

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